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Second Hand als soziales Engagement

Veröffentlicht: Mittwoch, 08. April 2015 15:31

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Zu klein, zu groß, zu bunt, zu grau. Es gibt viele Gründe einst geliebte Kleidungsstücke nicht mehr zu tragen. Was einmal ein Lieblingsstück war, wandert nicht selten in den Altkleidercontainer. Nicht so bei Heidi Grathwohl.

Sie sorgt dafür, dass noch gut erhaltene Kleidungsstücke oder ausrangierte Spielsachen dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden. Ganz nah, oder aber im ferneren (Ost) Europa.

Alles begann im Jahre 1997. Die umtriebige dreifache Mutter übernimmt auf Bitten die Organisation des Illerberger Kleiderbasars. Was im Frühjahr 1994 klein im Pfarrheim Illerberg anfing, ist in seinem nunmehr 20-jährigen Bestehen zu einer großen Veranstaltung in der Mehrzweckhalle Illerberg geworden.

Aktuell unterstützen Grathwohl dabei 105 Frauen und ein paar Männer. „Es ist eine richtige Gemeinschaft unter den Frauen entstanden, mit ganz unterschiedlichen Nationalitäten“ schwärmt die 63-Jährige. Bei all ihrem eigenen Engagement wird sie nicht müde die tolle und zuverlässige Arbeit ihrer Helferinnen zu loben. Auch Mann Thomas, Sohn, Tochter und Schwiergersohn packen mit an. Die Gewissheit, dass ihre Familie hinter ihrem Engagement steht, ist für die dreifache Mutter wichtig.

Sohn Alexander, der Jüngste unter den drei Geschwistern, hilft unter anderem bei der Erstellung der Homepage, legt die unzähligen, von Grathwohl akribisch geführten Excel-Tabellen an. Wenn es nötig ist, baut der Student der Elektrotechnik auch schon mal einen neuen Kleiderständer für die Basare. Grathwohl möchte nicht missionieren oder moralisieren. Dennoch freut sie sich, wenn sie andere mit ihrem Engagement ansteckt. Ungefähr die Hälfte aus dem bei den Kleiderbasaren erzielten Gewinn geht in Form von Gutscheinen an bedürftige Kinder und deren Familien in der Region. Mit den restlichen 50 Prozent werden deutsche, oft kleinere, Hilfsorganisationen unterstützt. Es profi tieren auch in Not geratene Familien vor Ort, auf unbürokratischem Weg.

Die schlanke Frau mit pfiffi gem Kurzhaarschnitt hat, wie sie selbst augenzwinkernd sagt, zusätzlich noch einen „Nebenjob“. Sie unterstützt mit Ihrem Engagement seit 1998 unter anderem den Verein „Hilfe für Kinder aus Tschernobyl“. Als sie Ende der neunziger Jahre von einer Freundin erfährt, dass Kinderkleidung für Kinder aus einem Waisenhaus in Weißrussland, die zur Erholung nach Haslach, Rot/a.d.Rot kommen, gesucht werden, ist sie gleich dabei. Durch Mundpropaganda fi nden sich schnell Sachspenden. Seitdem treffen sich jeden Dienstag und seit etwa zwei Jahren auch jeden Freitag inzwischen vier bis sechs Frauen, darunter eine 82-Jährige, um Sachpakete zu packen. Seit dem Jahre 2000 haben Grathwohl und ihre Helferinnen unzählige Pakete verschickt. Seit 2008 sind es jährlich mehr als 1000 Pakete alleine nach Weißrussland und rund 600 nach Rumänien. Außerdem unterstützte die 63-Jährige mit ihren Paketen in den letzten Jahren u.a. den Verein Brot der Lebens, Bernstadt ebenso wie private Spendenlieferungen ins Ausland. Der einstige Partykeller im Haus der Familie Grathwohl dient heute als Kleider- und Sortierlager. Ein Wahlspruch der zupackenden 63-jährigen lautet „geht nicht, gibt`s nicht“.

Was bei dem einen ein plakativer Werbespruch ist, ist bei der dreifachen Mutter Ausdruck einer kommunikativen Machernatur. „Wenn nicht so, dann eben anders“ fügt sie lachend hinzu. Und das nimmt man der lebendigen 63 Jährigen aus Illerberg-Vöhringen mit ihrem offenen Lachen gerne ab.

Bei all ihrem Engagement treibt sie nicht das Verlangen nach Anerkennung an oder das Bedürfnis in der ersten Reihe zu stehen „Mich muss man nicht sehen“. Ihr Engagement hat sich weit herumgesprochen. Regelmäßig fi ndet sie Kleiderspenden vor ihrer Haustür oder in der Garage, die dann von ihrer Helfertruppe fein säuberlich verpackt ganz gezielt vor allem an bedürftige Familien in Gomel/Weißrussland verschickt werden.

Grathwohl selbst war schon drei Mal zu Besuch in Weißrussland. „So etwas vergisst man nicht. Man sieht so viel Elend dort“, umschreibt sie die Eindrücke ihrer Reisen. Sie und ihre Schwägerin haben Patenschaften für die heute siebzehnjährige Alexandra und Swetlana übernommen. Seit 2006 verbringen die beiden Mädchen ihre Sommerferien bei den Grathwohls und sind zu einem Teil der Familie geworden. „Ich mag es, wenn Umtrieb im Haus ist. Für mich ist es selbstverständlich, das was ich habe, zu teilen“ sagt die engagierte Patin. Doch um notleidende Familien zu sehen, muss der Blick gar nicht so weit gehen. Auch in der direkten Umgebung gibt es Familien, Frauen und alleinerziehende Mütter, die Kleiderspenden von der 63-Jährigen erhalten.

von Frauke Kazda

entnommen aus Kinder in der Stadt (Ausgabe 1, Februar/März 2015, Seite 25)